Die traurigen drei Könige

Wie jedes Jahr schmückte am Tag vor den Heiligen Abend die Mutter den Christbaum. Nur diesmal gab es eine kleine Änderung. Ihre Tochter, Kathi, war jetzt schon größer und durfte zum ersten Mal mithelfen.

Voller Ehrgeiz und Freude reichte sie der Mutter eine der bunten Kugeln nach der anderen und befestigte sogar selbst behutsam kleine Sterne und Englein am Baum. Es war ein schöner, ein wunderschöner Christbaum.

Als Mutter und Tochter mit dem Schmücken des Baumes fertig waren, machte sie sich daran, auch die Krippe aufzustellen. Nach und nach wurden zuerst alle Figuren aus dem großen Karton genommen und von ihrem Seidenpapier befreit, in das sie das Jahr über verpackt gewesen waren. Es war eine stattlicher Anzahl der unterschiedlichsten Figuren. Alle waren sie aus Ton und sehr hübsch bunt bemalt.

Das Aufstellen selbst überließ die Mutter gerne ihrer Tochter, da diese so große Freude daran hatte. Zuerst kamen Ochs und Esel an die Reihe, davor wurden Maria und Josef plaziert, und dazwischen kam die Krippe mit dem Jesuskind darin.

Etwas abseits von der eigentlichen Krippe stellte Kathi die Schafe auf. Sie hatte dafür extra grünes Weihnachtspapier besorgt, um eine Wiese anzudeuten. Dann überlegte Kathi und meinte schließlich: "Die Hirten komme noch nicht zur Krippe, denn heute ist ja erst der dreiundzwanzigste. Da hüten sie noch ihre Schafe ganz wie immer. Erst morgen Abend werde ich sie direkt vor die Krippe stellen."

Die Mutter nickte zustimmend und freute sich, daß ihre Tochter so genau über die Weihnachtsgeschichte nachdachte.

Ähnlich wie mit den Hirten verfuhr Kathi auch mit den heiligen drei Königen, den Weisen aus dem Morgenland. Diese stellte sie zusammen mit dem mit Geschenken schwer beladenen Kamel noch weiter entfernt auf. "Sie gehen ja erst hin," fügte Kathi ihrem Tun hinzu. "Sie haben noch einen weiten Weg. Zu Epiphanias, am 6. Januar, da werde ich sie dann direkt vor die Krippe stellen. Denn das ist doch ihr besonderer Tag, nicht wahr?"

Der Heilige Abend kam, und nachdem die Mutter die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vorgelesen hatte und Kathi ihre Geschenkte ausgepackt hatte, dachte sie gerade noch daran, nun die Hirten direkt vor das Jesuskind in der Krippe zu stellen. Mit strahlendem Gesicht betrachtete sie dieses anschauliche Weihnachtsgeschehen und war überaus glücklich.

Am nächsten Tag stellte Kathi die Hirten wieder zurück zu ihrer Herde, denn es stand ja auch in der Bibel, daß die Hirten nach dem Besuch beim Jesuskind wieder zu ihren Herden zurückgegangen waren.

Die Tage vergingen, und Kathi war voll beschäftigt. Zuerst mußte sie natürlich ausführlich mit ihren eigenen Geschenken spielen. Dann besuchte sie ihre Freundin, und bald darauf kam die Freundin zu ihr. An einem Nachmittag ging sie ins Kino, und nachdem es geschneit hatte, ging sie mehrmals zum Schlittenfahren. Sie hatte wirklich jede Menge zu tun. Langweilig wurde es ihr in keinem Augenblick.

Schließlich kam der 6. Januar, der letzte Ferientag. "Heute muß der Baum weg," entschied die Mutter, er sieht wirklich nicht mehr schön aus. Die Äste sind längst dürr geworden und hängen herab. Außerdem beginnt morgen die Schule wieder, und auch ich muß wieder arbeiten. Besser wir erledigen das jetzt. Wer weiß, ob wir in einigen Tagen überhaupt noch Zeit dafür hätten."

Kathi durfte wieder helfen, das heißt, sie mußte. Sonderlich begeistert war sie nicht darüber. Das Herrichten und Schmücken, ja das machte Freude. Aber das Aufräumen – wer räumt schon gerne auf? Aber sie sah ein, daß es notwendig war.

Die Mutter brachte den großen Karton mit den Seidenpapier und stellte ihn neben Kathi auf den Boden. "Du packst die Krippenfiguren zusammen," schlug die Mutter vor. Sie nahm das ganze Seidenpapier heraus. Dann nahm sie Josef und zeigte Kathi, wie man so eine Figur sorgsam verpackt, damit sie das Jahr über unbeschadet in dem Karton zubringen kann. Kathi nahm ein anderes Stück Seidenpapier und die Maria und verfuhr damit gerade so, wie es die Mutter ihr gezeigt hatte.

Ordentlich und gewissenhaft verpackte Kathi eine Figur nach der anderen und legte sie behutsam in den Karton, das Jesuskind, den Ochsen, den Esel, ein Schaf nach dem anderen, den einen Hirten, den nächsten –

Auf einmal schreckte Kathi auf: "Mama, Mama, die heiligen drei Könige! Ich habe sie vergessen, sie stehen noch immer dort drüben und waren noch gar nicht bei der Krippe! Mama, was soll ich denn jetzt machen? Soll ich alles wieder auspacken?

Die Mutter schüttelte lächelnd den Kopf: "Nein, pack nicht alles wieder aus. Pack die drei Könige ebenfalls ein. Nächste Jahr werden wir sie eben früher zur Krippe stellen."

"Aber den weiten Weg, den sie gemacht haben, und jetzt war er ganz umsonst!" argumentierte Kathi fast verzweifelt. "Sie wollten doch das Jesuskind sehen, und inzwischen habe ich es schon eingepackt." Kathis Mundwinkel hingen herab, ihre Augen wurden schon ganz feucht, und eine Träne kullerte über die Wange.

Da setzte sich die Mutter neben Kathi und legte liebevoll den Arm um die Schultern ihrer Tochter. Dann hob sie eine der Königsfiguren auf und wickelte sie ein.

"Wo hast du denn das Jesuskind hingelegt?" fragte sie ihre Tochter. Kathi warf einen seitlichen Blick zur Mutter, dann schaute sie in den Karton. "Hier, da ist es."

"Schau, wir legen den König einfach direkt daneben. So ist er das ganze Jahr über beim Jesuskind und nicht nur für einen kurzen Besuch."

Kathi schniefte etwas und atmete tief durch. "Hm, na ja," ganz befriedigt war sie nicht mit dieser Lösung, aber schließlich fuhr sie doch mit dem Einpacken fort. Als die Mutter sah, daß sich das Kind beruhigt hatte, stand sie wieder auf und machte weiter mit dem Abräumen des Baumschmucks.

"Du, Mama," fragte Kathi nachdenklich, während sie den fertig verpackte Karton sorgfältig schloß, "meinst Du, die drei Könige hatten Jesus auch in ihren Herzen?"

Die Mutter stutzte und dachte nach. "Einerseits ja, bestimmt. Sie hatten erkannt, daß diese Kind in der Krippe etwas ganz Besonderes war, das heißt ist. Andererseits war Jesus ja noch ein Baby gewesen, als sie ihn damals besucht hatten. Sie konnten noch nicht wissen, daß er einmal ans Kreuz genagelt würde, sterben mußte und schließlich von Gott vom Tod auferweckt wurde."

Die Mutter überlegte weiter, während sie sich mit ihrer Tochter zusammen gemütlich auf die Couch setzte. Dann begann sie zu erzählen:

"Nachdem die drei Weisen wieder zurück in ihrer Heimat waren, berichteten sie bestimmt all ihren Bekannten dort von der Begegnung mit dem Jesuskind in der Krippe. Sie vergaßen dieses Erlebnis niemals auch nicht nach vielen Jahren.

Fast vierzig Jahre später, die drei Weisen waren inzwischen schon sehr, sehr alt, da kam eines Tages ein Fremder in ihre Stadt. Er erzählte höchst Erstaunliches. Er erzählte von einem Christus, einem Erlöser. Er erzählte, daß Gott im fernen jüdischen Land seinen Sohn in die Welt gesandt hatte, daß die Menschen dort ihn hingerichtet hatte, daß Gott ihn aber vom Tod wieder auferweckt hatte.

Viele der Leute in der Stadt konnten die Reden diese Fremden nicht verstehen und schon gar nicht glauben. Der Fremde sprach von Sünden und davon, daß Gott den Menschen diese Sünden zu vergeben bereit ist, wenn man seinen Sohn, Jesus, in sein Herz aufnimmt.

Da sprach einer der drei Weisen: ‚Ja, es stimmt, es stimmt alles. Wir waren damals in Bethlehem. Wir haben das Kind in der Krippe gesehen. Gott hatte uns zu diesem Kind geführt. Damals ahnten wir noch nicht im entferntesten, was einst geschehen würde. Aber wir hatten erkannt, daß es sich bei diesem neugeborenen Kind um einen großen König handelte. Nun weiß und glaube ich, daß dieser König Gottes Sohn ist. Ja, ich will ihn in mein Herz aufnehmen.‘

Manche der Menschen in dieser Stadt glaubten an Jesus, andere nicht."